Seitenwechsel
Fußball als globales Phänomen wird mittlerweile als Event vermarktet und erfolgreich verkauft. Fußball ist ein ökonomischer Machtfaktor und besitzt große mediale Bedeutung. Das Spiel mit dem Ball fasziniert Menschen jeglichen Alters, jeglicher Herkunft und auch jeglichen Geschlechts und jeglicher sexueller Orientierung? 1974: „Das geht nicht! Mädchen spielen keinen Fußball!“, sagte meine Oma.
„2011 von seiner schönsten Seite“, sagen die
Vermarkter der Frauen-WM in Deutschland.
Fast vier Jahrzehnte liegen zwischen diesen beiden Aussagen. Meine Oma wollte mich 1974 nicht spielen lassen, weil es sich für Mädchen nicht gehörte, zu kämpfen oder auf dem Rasen herumzurutschen. Das war damals ein Sport für die Jungen und Männer und für die „Mannweiber“.
Und heute?
Heute scheint es so, als würde es die „Mannweiber“ von gestern nicht mehr geben, weil ja heute die „schönen“ Frauen Fußball spielen, es gibt sogar eine schlanke, langhaarige, blonde Barbie, die Fußball spielen kann. Es werden viele Anstrengungen unternommen, um den Frauenfußball wegzubringen vom Klischee des Lesbensports. Dabei ist Fußball, sowohl auf dem Feld als auch in den Fankurven, ein Reservat, ein Schutz- und Rückzugsraum für überkommene Männlichkeitsvorstellungen. Der letzte Ort, an dem „wahre Männlichkeit“ gelebt werden kann. Diese Männlichkeit des Fußballs wird über die Abgrenzung zu Frauen und Schwulen und damit durch Sexismus und Feindlichkeit gegenüber Schwulen und Lesben erreicht. Schlechte Spieler werden als „Mädchen“ oder „Schwuchtel“ bezeichnet. Fußballspielende Frauen sind, auch heute noch, „Mannweiber“ oder „Lesben“.
Auf und um den Platz können unterschiedlichste Verhaltensweisen ausgelebt werden, ohne dass Fans oder Spieler als unmännlich gelten. Hier wird von den fußballerischen Kräften der Vermännlichung gesprochen, durch die z.B. ein metrosexueller David Beckham oder auch Männer mit Mädchenhaarbändern männlich erscheinen.
Fußballspielende Frauen treffen diese vermännlichenden Kräfte somit auch, und wer nicht als lesbisch oder „Mannweib“ gelten will, muss sich möglichst nah heranarbeiten an die gängigen Klischees von einer schönen heterosexuellen Frau.
Gesprochen wird offen kaum bis gar nicht über die sexuelle Orientierung und das gilt erstaunlicherweise sowohl für den Männer- als auch für den Frauenfußball.
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Auszug aus dem Ausstellungskatalog „Pionierinnen des deutschen Frauenfußballs“ erschienen 2011 im LEGAT Verlag; ISBN 978-3-932942-38-9.
© 2011, Tanja Walther-Ahrens.
Die Autorin Tanja Walther-Ahrens ist Sportwissenschaftlerin und spielte früher in der Frauenfußball-Bundesliga. Sie engagiert sich in der European Gay and Lesbian Sport Federation (EGLSF). Ihr Buch „SEITENWECHSEL – Coming out im Fußball“ erschien 2011 im Verlag Gütersloh; ISBN 978-3-579066-99-8